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Zum Thema Arbeitsrecht
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Forderung "erster Führungserfahrungen" nicht diskriminierend
- Altersfreizeit von Teilzeitbeschäftigten: Nur sachliche Gründe können unterschiedliche Behandlung rechtfertigen
- BAG zu Datenmissbrauch: Subjektiv empfundener Kontrollverlust rechtfertigt noch keinen Ersatzanspruch von Arbeitnehmern
- Freizeitausgleich unmöglich: Finanzielle Entschädigung für Bereitschaftsdienste bei der Feuerwehr
- Nur befriedigendes Zeugnis: Arbeitnehmer trifft Darlegungs- und Beweislast für überdurchschnittliche Beurteilung
Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) musste sich wieder einmal mit einer Altersdiskriminierung in einer Stellenanzeige auseinandersetzen. Hierbei war zu klären, ob ein bestimmtes Anforderungsprofil automatisch Rückschlüsse auf einen unabdingbar erforderlichen Alterskorridor der Bewerber schließen lässt und somit einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstellt.
Eine Arbeitgeberin suchte in einer Stellenausschreibung "eine/n Managementtrainer/-in mit Vertriebsverantwortung (m/w/d)", wobei "erste Erfahrungen in Führungspositionen" erwünscht waren. Ein 56-jähriger Bewerber erhielt eine Absage und meinte nun, er sei wegen seines Alters diskriminiert worden. Durch die Voraussetzung, dass er "erste Erfahrungen in Führungspositionen" haben solle, fühlte er sich wegen seines Alters diskriminiert. Durch diese Vorgabe habe die Arbeitgeberin einen gewünschten Alterskorridor vorgegeben, wonach die Bewerber ca. 38-42 Jahre alt sein sollten, während alle übrigen Bewerber, die also entweder jünger als im Zielkorridor oder eben älter seien, direkt aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert werden würden. Deshalb klagte er 10.000 EUR Schadensersatz ein - vergeblich.
Das LAG vertrat die Ansicht, dass die Anforderung "erste Führungserfahrung" in einer Stellenausschreibung nicht auf einen bestimmten Lebenszeitkorridor verweise. Somit liegt kein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Alters vor. Erste Führungserfahrungen können schließlich in jedem Alter gemacht werden.
Hinweis: Arbeitgeber sollten bei der Veröffentlichung von Stellenanzeigen besonders vorsichtig sein und jede Stellenanzeige nochmals genau prüfen, ob sie eventuell diskriminierend sein könnte. Denn Verstöße gegen das AGG können schnell sehr teuer werden.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 20.06.2024 - 6 Sa 632/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Teilzeitbeschäftigte dürfen Vollzeitkräften gegenüber nicht diskriminiert werden - das steht schon im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Was das für die sogenannte Altersfreizeit bedeutet, hat das Bundesarbeitsgericht auf die Klage einer Arbeitnehmerin hin kürzlich entschieden.
Die Arbeitnehmerin war als Produktionshelferin in Teilzeit mit 20 Stunden pro Woche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand ein Tarifvertrag Anwendung, in dem unter dem Punkt "Altersfreizeit" geregelt war, dass Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, eine Altersfreizeit von zwei Stunden pro Woche erhalten. Diese Regelungen würden allerdings nicht für Teilzeitbeschäftigte oder Arbeitnehmer in Kurzarbeit gelten. Nach Vollendung des 58. Lebensjahres verlangte die Arbeitnehmerin von der Arbeitgeberin dennoch die tarifliche Altersfreizeit von einer Stunde wöchentlich und klagte den Anspruch erfolgreich ein.
Ein in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer darf nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer - es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Hier aber wurden Teilzeitbeschäftigte wegen der Teilzeitarbeit ungleich behandelt, da die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellte, an das die Differenzierung hinsichtlich unterschiedlicher Arbeitsbedingungen anknüpfte. Die Benachteiligung wegen der Teilzeittätigkeit war auch nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, der die Annahme rechtfertigen könnte, für Arbeitnehmer ab Vollendung des 58. Lebensjahres bestehe eine qualitative Belastung erst ab einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden.
Hinweis: Wenn ein Arbeitnehmer sich diskriminiert fühlt, sollte er möglichst viele Indizien für diese Diskriminierung sammeln und notieren. Ereignen sich die Diskriminierungen über einen längeren Zeitraum, ist das Führen eines Tagebuchs wichtig.
Quelle: BAG, Urt. v. 09.07.2024 - 9 AZR 296/20
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wann ein mutmaßlicher Datenmissbrauch durch den Arbeitgeber zu einem immateriellen Schadensersatz führen kann. Ausschlaggebend war das Auseinanderhalten subjektiv empfundener Befürchtungen von - wie immer gerichtlich relevanten - nachweisbaren Schäden. Denn nur solche können auch ersetzt werden, selbst wenn sie rein immateriell sind.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand seit dem Jahr 2014. Im Jahr 2020 fanden erfolglose Gespräch über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses statt. Daraufhin verlangte die Arbeitnehmerin Auskunft über die Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 15 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie eine Kopie dieser Daten nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Dies lehnte die Arbeitgeberin wie folgt ab: "Mit Ihrem Auskunftsverlangen beeindrucken Sie niemanden. Bitte klagen Sie den Anspruch ein, wenn Ihre Mandantin meint, das Arbeitsverhältnis auf diese Weise fortsetzen zu müssen." Daraufhin kündigte die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis und verlangte nun durch eine Klage wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO ein Schmerzensgeld von mindestens 5.000 EUR. Die Arbeitgeberin habe die Auskunft vorsätzlich und böswillig verweigert. Sie hatte behauptet, wegen der Verweigerung der Auskunft keinerlei Möglichkeit der Überprüfung der Datenverarbeitung gehabt zu haben. Dieser Kontrollverlust sei spürbar und erheblich.
Die Arbeitnehmerin erhielt jedoch kein Geld, da sie nach Ansicht des BAG keinen Schaden dargelegt hatte. Das Erfordernis eines Schadens und der entsprechenden Darlegungslast ist durch die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs hinreichend geklärt. Danach geht aus dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DSGVO klar hervor, dass das Vorliegen eines Schadens wesentliche Voraussetzung ist. Das bloße Berufen auf eine bestimmte Gefühlslage reiche hingegen nicht aus. Die Frau hatte zwar ihre aus Unkenntnis der Datenverarbeitung resultierenden Befürchtungen zum Ausdruck gebracht; solche Befürchtungen liegen bei einer nicht erteilten oder eben auch nur unvollständig erteilten Auskunft jedoch in der Natur der Sache. Für die Darlegung eines Schadens reiche die Hervorhebung besonderer Spannungen mit dem Auskunftsverpflichteten ebenfalls nicht aus.
Hinweis: Wer als Arbeitnehmer nach einem Datenmissbrauch also Schadensersatz erhalten möchte, hat umfangreich darzulegen, worin der Schaden besteht. Dazu können natürlich auch ärztliche Atteste sehr nützlich sein.
Quelle: BAG, Urt. v. 20.06.2024 - 8 AZR 124/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Nur weil man nicht arbeitet, heißt das noch lange nicht, dass man diese Zeit frei gestalten kann. Eben deshalb sind besonders auch Bereitschaftsdienste immer wieder Thema vor den Arbeitsgerichten. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) hat nun eine wegweisende Entscheidung für Feuerwehrleute im Bereitschaftsdienst gefällt.
Die Alarmbereitschaftszeiten der Feuerwehrleute der Stadt Mülheim an der Ruhr werden als 24-Stunden-Dienste geleistet. Den Feuerwehrleuten wird dabei zwar kein bestimmter Aufenthaltsort vorgegeben - sie dürfen sich aber nur in einem Radius von 12 km um die Wache bewegen und müssen im Alarmierungsfall "sofort" mit dem zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeug ausrücken. Dabei ist unter "sofort" die in der Alarm- und Ausrückordnung als Ausrückzeit angegebene Zeitspanne von maximal 90 Sekunden zu verstehen. Einige Feuerwehrleute meinten nun, diese Alarmbereitschaftszeiten seien in vollem Umfang als Arbeitszeit zu werten - sie klagten.
Das OVG entschied tatsächlich, dass die von ihnen im sogenannten Direktions- bzw. Hintergrunddienst geleisteten Alarmbereitschaftszeiten in vollem Umfang als Arbeitszeit im Sinne der europarechtlichen Vorgaben einzustufen sind. Die Einstufung als Arbeitszeit begründet sich im Wesentlichen aus den gravierenden Einschränkungen für die Zeitgestaltung der Feuerwehrleute während der Dienste, die aus dieser kurzen Reaktionszeit resultieren. Durch die Einstufung der Alarmbereitschaftszeiten als Arbeitszeit überstieg die Arbeitszeit der Feuerwehrleute regelmäßig die zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Im Umfang dieser Überschreitung steht ihnen daher ein Entschädigungsanspruch zu. Der zunächst auf die Gewährung von Freizeitausgleich gerichtete Anspruch hat sich somit in einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung umgewandelt, da die Gewährung von Freizeitausgleich nach Angaben der Arbeitgeberin unmöglich ist. Die Entschädigung berechnet sich nach den Stundensätzen der Mehrarbeitsvergütungsverordnung.
Hinweis: Das Urteil wird sicherlich Signalwirkung auch für andere Bundesländer haben. Umzusetzen wird es auf Dauer nur sein, wenn Personal aufgestockt wird. Allerdings kann gegen das Urteil noch die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht werden.
Quelle: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.09.2024 - 6 A 856/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) hatte sich im folgenden Fall ausführlich damit befasst, was ein Arbeitnehmer vortragen muss, um ein Arbeitszeugnis zu erhalten, das über eine befriedigende Beurteilung hinausgeht. Denn nur auf eine solche haben Arbeitnehmer einen generellen Anspruch.
Ein Arbeitnehmer war nach seiner Ausbildung vom 06.01.2020 bis zum 13.08.2022 bei seinem Arbeitgeber als Schulbegleiter bzw. Integrationsassistent beschäftigt. Er hatte die Aufgabe, einen Schüler dabei zu unterstützen, dass dieser Konflikte mit Mitschülern ohne Gewalt löst, Grenzen seiner Mitmenschen wahrt, aktiv am Unterricht teilnimmt, Hausaufgaben in sein Hausaufgabenheft schreibt und den Unterricht nicht stört. Von Oktober 2021 bis Januar 2022 war der Arbeitnehmer arbeitsunfähig, nachdem ihm der betreute Junge mehrere Finger gebrochen hatte. Nachdem das Arbeitsverhältnis endete, erteilte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Zeugnis mit einer befriedigenden Leistungs- und Verhaltensbewertung: "(...) erfüllte seine Aufgaben in der Integrationshilfe immer selbständig, sorgfältig und stets zu unserer Zufriedenheit". Da er der Ansicht war, dass ihm ein besseres Arbeitszeugnis zustehe, klagte der Arbeitnehmer und begründete dies im Wesentlichen mit der Behauptung, die Integration des betreuten Kindes sei erfolgreich gewesen. Dies hätten ihm auch dessen Eltern bestätigt.
Die Richter des LAG sahen das hingegen anders. Die durchschnittliche Beurteilung sei aufgrund der begrenzten Berufserfahrung des Arbeitnehmers nachvollziehbar. Vielfach führe erst eine langjährige Berufserfahrung zu guten und sehr guten Leistungen. Der Arbeitnehmer habe nicht dargelegt, dass er im Hinblick auf Leistung und Verhalten besser als ein durchschnittlicher Schulbegleiter/Integrationsassistent zu bewerten war. Letzteres wäre jedoch seine Aufgabe gewesen. Er habe zwar durchaus Erfolge bei seinen Hilfezielen erreicht - was ihm der Arbeitgeber auch bescheinigt habe -, jedoch habe er dabei keinen Vergleich zu anderen durchschnittlichen Schulbegleitern gezogen und dargelegt, dass vergleichbare Beschäftigte diese Erfolge nicht oder nicht in dieser Zeit erzielt hätten.
Hinweis: Arbeitnehmer haben nach der Rechtsprechung lediglich Anspruch auf ein befriedigendes Zeugnis. Wollen sie ein besseres Zeugnis erhalten, ist das in der Praxis ausgesprochen schwierig umzusetzen. Etwas einfacher wird es, wenn ein entsprechend gutes Zwischenzeugnis vorliegt. Dann muss der Arbeitgeber darlegen, weshalb er jetzt davon abweicht.
Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 02.07.2024 - 5 Sa 108/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Angreifbarer Sorgerechtsbeschluss: Keine Sorgerechtsentscheidung ohne negative Kindeswohlprüfung
- Bestimmtheitsgebot: Beschwerdeanträge müssen klar bestimmt sein
- Ersatz für Zugewinnausgleich: Riskantes Vorgehen einer Anwältin kommt diese teuer zu stehen
- Flexibilität fürs Kindeswohl: Selbständige müssen zur Unterhaltssicherung nicht unbedingt ins Angestelltenverhältnis wechseln
- Gewaltschutz: WhatsApp-Statusmeldung ist noch keine Kontaktaufnahme
Sorgerechtsstreitigkeiten gehen oft durch alle Instanzen. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Rostock (OLG) kann eine höhere Instanz einen Sorgerechtsstreit sogar dann zurückverweisen, wenn dies gar nicht beantragt war. Klingt komisch? Dann lesen Sie selbst.
Die unverheirateten Kindeseltern hatten sich im Juni 2022 getrennt. Der Vater wollte gern die gemeinsame Sorge. Die Mutter sträubte sich zunächst, da Gewaltvorwürfe gegen den Vater im Raum standen. Später stimmte sie jedoch zu. Auch das Jugendamt und Psychologen befürworteten die gemeinsame Sorge. Also wurde diese dann auch amtsgerichtlich festgestellt, wobei das Amtsgericht (AG) hier nur die Zustimmung der Mutter und die Empfehlungen der Psychologen und Ämter berücksichtigte - eine Kindeswohlprüfung wurde hingegen nicht durchgeführt. Die Mutter legte daraufhin Beschwerde gegen die Entscheidung ein, da sie nicht richtig über die Auswirkungen ihrer Zustimmung aufgeklärt worden sei.
Das OLG hat daraufhin den Sorgerechtsbeschluss des AG und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde insgesamt an das AG zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dies sei nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sogar ohne dahingehenden Antrag eines Verfahrensbeteiligten möglich. Voraussetzung dafür ist aber, dass das Gericht in der Sache selbst noch nicht entschieden hat. Hier wurde zwar ein Sorgerechtsbeschluss gefasst - das Gericht hatte aber im vereinfachten Verfahren entschieden. Eine grundsätzlich gebotene negative Kindeswohlprüfung wurde nicht durchgeführt, und genau diese muss es jetzt nachholen.
Hinweis: Ein Gericht darf sich in seiner Prüfung also nicht allein auf die Prüfung beschränken, ob eine Maßnahme dem Kindeswohl entspricht - vielmehr muss es gerade auch prüfen, ob die Entscheidung dem Kindeswohl widerspricht. Tut es das nicht, dann ist seine Entscheidung unter Umständen angreifbar.
Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 27.09.2024 - 10 UF 50/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer sich durch eine Gerichtsentscheidung beschwert fühlt, kann Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung oder einen Teil der Entscheidung einlegen. Hierzu muss man aber ganz genau benennen, im welchem Umfang man sich beschwert fühlt und mit welchem Ziel die angegriffene Entscheidung angefochten werden soll. Unklar war im folgenden Fall vor dem Bundesgerichtshof (BGH), ob der Beschwerte dies im ausreichenden Umfang getan hatte.
Im Jahr 1996 hatte ein Paar durch formlose Erklärung in Ägypten eine sogenannte "Orfi-Ehe", auch "Urfi-Ehe" genannt, geschlossen. 1998 schloss das Paar vor einem Notar im ägyptischen Alexandria schließlich noch die offizielle Ehe mit Ehevertrag. Der Mann war seinerzeit ägyptischer Staatsbürger, die Frau deutsche Staatsbürgerin. Später ließ sich das Paar scheiden. Im Verfahren setzte der Mann eine Auskunftserteilung zur Berechnung des Unterhalts gegen die Frau durch. Nach Auskunftserteilung bezifferte er seinen Antrag aber nicht. Vielmehr beantragte er, dass das Amtsgericht vorab entscheiden soll, ob der Zugewinnausgleich grundsätzlich nach deutschem Recht durchzuführen ist. Der Antrag auf Zugewinnausgleich wurde zurückgewiesen, weil die Beteiligten im Ehevertrag eine Rechtswahl zugunsten des "islamischen Rechts" getroffen hätten. Hiergegen legte der Mann Beschwerde ein, die jedoch als unbestimmt zurückgewiesen wurde.
Der BGH war hier jedoch anderer Meinung. Denn nach § 117 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit muss der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Beschwerde einen bestimmten Sachantrag stellen und diesen damit begründen, sich eindeutig über Umfang und Ziel seines Rechtsmittels zu erklären. Und diesen Vorgaben hatte der Mann hier in Augen des BGH-Senats entsprochen.
Hinweis: Denken Sie bei Ihrer Beschwerde an die W-Fragen: Was beschwert Sie? Warum beschwert es Sie? In welchem Umfang beschwert es Sie? Wie und in welchem Umfang soll erreicht werden, dass diese Beschwer wegfällt? Wenn Sie diese Fragen in Ihrem Antrag beantworten können, sollte dieser bestimmt genug sein.
Quelle: BGH, Beschl. v. 14.08.2024 - XII ZB 386/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer dem guten Rat folgt, einen Rechtsbeistand einzuschalten, der möchte zu Recht sichergehen, dass dieser die Interessen seiner Mandanten gebührend vertritt. Das bedeutet auch, dass Anwälte gerade bei unklarer Rechtslage alle Risiken miteinbeziehen und den sichersten Weg empfehlen müssen. Alles andere führt zu Schadensersatzansprüchen und zum Verlust von Rechtsansprüchen - wie in diesem Fall, der vor dem Bundesgerichtshof (BGH) landete.
Ein ehemaliger Mandant verklagte seine Anwältin auf rund 86.000 EUR Schadensersatz. Er hatte Zugewinnausgleich in dieser Höhe gegen seine Frau geltend gemacht, dieser Anspruch wurde ihm gerichtlich aber rechtskräftig verwehrt. Die Ex-Frau hatte zunächst eine Klage auf Zugewinnausgleich beim Amtsgericht (AG) Mannheim eingereicht. Ihr Ex-Mann tat daraufhin Selbiges beim AG in Delmenhorst. Und eben dieses regte das Ruhen des Verfahrens so lange an, bis die Kollegen in Mannheim über die Klage der Frau entschieden haben. Weil Mannheim aber eben nicht entschied, nahm die Anwältin das Verfahren in Delmenhorst erneut auf - dies aber erst nach zehn Monaten. Die Ex-Frau berief sich daher auf Verjährung - und bekam Recht. Der Mann sah hier ein Verschulden bei seiner Anwältin und nahm sie deswegen in die Haftung.
Vor dem BGH bekam er auch Recht. Nach § 204 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch wird die Verjährung durch Rechtsverfolgung gehemmt, und zwar für sechs Monate. Im Einzelfall kann die Hemmung auch länger andauern, wenn es für das Nichtbetreiben einen wichtigen Grund gibt. Nimmt ein Anwalt einen wichtigen Grund an, darf er sich aber nicht darauf verlassen, dass das Gericht das ebenso sieht. Er muss also vor Ablauf der Sechsmonatsfrist das Verfahren wieder aufnehmen. Sonst kann in der Tat ein Schaden entstehen, für den der Anwalt einstandspflichtig ist. Im vorliegenden Fall muss die Anwältin nun also den "Zugewinnausgleich" stemmen, also sage und schreibe rund 86.000 EUR.
Hinweis: Auch die Verjährung in Familiensachen wird durch Aufnahme der Rechtsverfolgung gehemmt. Familiensachen dürfen nicht länger als sechs Monate nicht betrieben werden, sonst können sie verjähren.
Quelle: BGH, Urt. v. 19.09.2024 - IX ZR 130/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Eltern sind verpflichtet, ihren Kindern Unterhalt zu leisten. Um diesen zu sichern, kann von einem selbständigen Elternteil sogar gefordert werden, in eine besser bezahlte Anstellung zu wechseln. Ausnahme: Die Selbständigkeit sichert gerade erst, dass sich der Elternteil gut und flexibel um die Kinder kümmern kann, so wie im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Hamm (OLG).
Die Eltern zweier minderjähriger Kinder trennten sich im August 2021. Die Kinder blieben bei der Mutter. Sie zogen mit ihr aus der elterlichen Wohnung in eine Mietwohnung. Der Vater verblieb in einer Immobilie, deren Eigentümer er war, und vermietete diese unter. Die Mutter bezog Berufsunfähigkeitsrente und arbeitet zudem stundenweise selbständig. Nun stritten beide Elternteile um den Unterhaltsanspruch der Mutter. Der Vater wollte diesen nicht zahlen, die Mutter könne schließlich vollschichtig arbeiten gehen. Den Unterhalt für die Kinder zahlte der Vater wiederum anstandslos.
Die Richter des OLG standen auf Seiten der Mutter. Zwar kann von einem Unterhaltsschuldner die Aufgabe einer selbständigen Existenz zugunsten einer besser bezahlten, abhängigen Beschäftigung zumutbar sein. Hier sichert die selbständige Arbeit der Mutter durch die damit verbundene Flexibilität, die im Rahmen eines Angestelltendaseins nicht gegeben ist, dass sie den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden kann.
Hinweis: Unter dem Strich geht es immer um das Kindeswohl. Kann man diesem im Rahmen der Selbständigkeit oder stundenweisen freien Tätigkeit besser gerecht werden, kann nicht verlangt werden, dass man diese aufgibt. Wird von Ihnen im Rahmen eines Unterhaltsprozesses verlangt, dass Sie sich beruflich verändern, argumentieren Sie mit dem Kindeswohl. Nur, wenn die Änderung diesem förderlich wäre, kann diese von Ihnen verlangt werden - sonst nicht!
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 04.07.2024 - 4 UF 35/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Über das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) lassen sich Annäherungsverbote und Kontaktverbote erwirken. Aber was genau als Kontaktaufnahme gilt, ist besonders in unseren kommunikativ durchtechnisierten Zeiten oft nicht einfach zu bewerten. Genau dann müssen eben auch die Gerichte entscheiden, so wie das Oberlandesgericht Hamburg (OLG).
Die Rechtsanwältin einer Ehefrau hatte deren Ehemann zur Auskunft über seine Vermögensverhältnisse aufgefordert, um den Unterhaltsanspruch der Frau zu berechnen. Eine Auskunft erhielt sie nicht, stattdessen aber übelste und äußerst obszöne Beleidigungen per Mail. Daher erwirkte sie eine Anordnung nach § 1 GewSchG gegen den Ehemann, mit der ihm untersagt wurde, in irgendeiner Form Kontakt zur Rechtsanwältin aufzunehmen, sie zu bedrohen, zu beleidigen, zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln. Als die Rechtsanwältin ihn später zur Bezahlung einer Forderung aufforderte, zahlte er nicht. In seinem WhatsApp-Status beschimpfte er die Anwältin kurz darauf aber als "korrupte Anwältin" und sparte dabei auch nicht an Beleidigungen seiner Exfrau. Die Juristin hielt dies für einen Verstoß gegen das GewSchG und wollte ein Ordnungsmittel gegen den Ehemann erwirken.
Damit scheiterte sie aber. Das OLG sah in der WhatsApp-Statusmeldung keine Kontaktaufnahme. Zwar werde die Rechtsanwältin angesprochen, eine Kontaktaufnahme setze aber eine aktive Handlung voraus, nicht nur eine bloße Statusmeldung.
Hinweis: Wurden Annäherungsverbote und Kontaktverbote erwirkt, sollte man trotz dieser Entscheidung auch Statusmeldungen, in denen man angesprochen wird, melden. Auch wenn diese noch keine Kontaktaufnahme sind, können sie doch der Anfang einer neuen Eskalation sein. Man tut gut daran, Schutzmaßnahmen zu verschärfen oder eine neue Beratung in Anspruch zu nehmen, was man in solchen Fällen machen kann. Im Status kann zum Beispiel ja auch eine Beleidigung enthalten sein, die neue rechtliche Anordnungen rechtfertigen kann.
Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 08.10.2024 - 12 WF 87/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Zum Thema Sonstiges
- Kein Schadensersatz: Nahegelegener Windpark stellt keine wesentlichen Beeinträchtigungen des Eigentums dar
- Schmerzensgeld für Fußballer: Keine Strafe vom Schiedsrichter ist Anhaltspunkt für nicht grob von der Norm abweichendes Foul
- Streamingdienst gehackt: Spitznamenangabe und ausgebliebener Vermögensschaden schmälern Anspruch
- Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt: Wer zu spät kommt, den bestraft der Anwaltsgerichtshof
- Überstehende Gehwegplatte: Gesamtumstände entscheiden über Zustandsbewertung bei Niveauunterschied von 2,5 cm
"Not in my backyard!" - kurz "Nimby" - bezeichnet das Phänomen, dem Allgemeinwohl dienende Maßnahmen durchaus zu befürworten, solange diese nicht direkt vor der eigenen Haustür (oder im eigenen Hof) durchgeführt werden. Einen solchen Fall hatte das Landgericht Koblenz (LG) zu klären. Und zwar musste es sich mit der durchaus wichtigen Frage beschäftigen, ob Anwohner in der Nähe von Windrädern Schadensersatzansprüche haben können.
Eigentümer und Bewohner einer Immobilie, die in rund 1,4 km Luftdistanz zum nächstgelegenen Windrad eines Windparks wohnten, behaupteten, dass von den Windenergieanlagen schädliche Umwelteinwirkungen und unzumutbare Beeinträchtigungen ausgehen würden. Der von der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm; einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesrepublik Deutschland) vorgesehene Lärmwert werde nachts im Bereich ihrer Immobilie überschritten. Zudem trete noch im Bereich ihrer Immobilie ein von den Windenergieanlagen emittierter Infraschall unterhalb von 8 Hz auf, der als Erschütterung wahrnehmbar sei und in die Innenräume gelange. Dort führe dies zu verstärkten Schalldruckwerten, Brummgeräuschen sowie Schwingungen. Hierauf seien wiederum vermehrter Stress, Beeinträchtigungen des Schlafs und sogar Gesundheitsschäden zurückzuführen. Eine weitere Eigentumsbeeinträchtigung gehe von dem nachts durch den Windpark hell erleuchteten Himmel aus. Deshalb klagten die Eigentümer auf Unterlassung während der Ruhezeiten und hilfsweise Schadensersatz. Außerdem wollten sie einen Wertverlust ihrer Immobilien ersetzt erhalten.
Nachdem es ein Immissionsgutachten eingeholt hatte, laut dem durchgeführte Messungen keine Überschreitung der Grenzwerte ergeben hatten, wies das LG die Klage ab. Auch die Beleuchtung der Windenergieanlagen war hinzunehmen. Eine wesentliche Einwirkung auf das Eigentum ergab sich auch daraus nicht. Die Gutachter hatten zudem eine Wechselwirkung aller Immissionen im Wege einer Gesamtschau vorgenommen und keine wesentlichen Beeinträchtigungen gesehen. Nach Auffassung des Gerichts lag somit auch keine wesentliche Beeinträchtigung des Eigentums vor.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Vieles spricht jedoch dafür, dass sie richtig ist. Da die Windenergie in Deutschland immer weiter ausgebaut wird, bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung in dieser Hinsicht entwickeln wird.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 18.07.2024 - 5 O 53/18
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Fußball ist bekanntlich ein Kontaktsport. Da lässt es sich im hitzigen Spielverlauf oder aus taktischen Gründen nicht verhindern, als Spieler des Öfteren schmerzhaft gestoppt zu werden. Wie aber sieht es hier eigentlich mit den unter Umständen folgenreichen Konsequenzen aus, die die Karriere kosten können? Das Landgericht Koblenz (LG) hat kürzlich einen solchen Fall entschieden, in dem ein Fußballer von seinem Gegenspieler ein Schmerzensgeld verlangt hatte.
Ein Fußballspieler war von einem gegnerischen Spieler während eines Spiels schwer verletzt worden. Er behauptete, dass der gegnerische Spieler ohne die Chance, an den Ball zu kommen, mit gestrecktem Bein gegen sein Sprunggelenk gesprungen sei. Er hatte es offensichtlich darauf angelegt, ihn zu treffen, und damit bei ihm einen Bruch des Wadenbeins, einen Bänderriss und eine Kapselverletzung am oberen Sprunggelenk seines rechten Fußes verursacht. Aufgrund der Verletzungen sei er dreimal operiert worden, leide bis heute unter den Folgen der Verletzung und könne keinerlei Kontaktsportarten mehr ausführen. Sonstige Belastungen wie etwa Joggen seien nur unter Schmerzen und auch nur eingeschränkt möglich. Und da es bereits vor dem Spiel zur Ankündigung der Körperverletzung gekommen sei, verlangte der verletzte Fußballspieler nun eine Zahlung von 10.000 EUR Schmerzensgeld sowie die Feststellung, dass der Gegner für alle weiteren aus dem Vorfall resultierenden Schäden zahlen müsse.
Die entsprechende Klage hat er vor dem LG allerdings verloren. Die Haftung eines Sportlers setzt den Nachweis voraus, dass dieser schuldhaft gegen die Regeln des sportlichen Wettkampfs verstoßen und dabei einen anderen verletzt habe. Ein objektiver Regelverstoß - wie vorliegend das harte Treffen mit dem Fuß am Sprunggelenk, ohne dass dabei der Ball getroffen worden wäre - indiziert nicht automatisch ein schuldhaftes Verhalten. Die Eigenart des Fußballspiels fordert vom einzelnen Spieler oft Entscheidungen und Handlungen, bei denen er schnell Chancen abwägen und Risiken eingehen muss, um dem Spielzweck dieses Kampfspiels erfolgreich Rechnung zu tragen. Auch das müsse im Rahmen des Schuldvorwurfs berücksichtigt werden. Ein Schuldvorwurf sei daher nur berechtigt, wenn die durch den Spielzweck gebotene bzw. noch gerechtfertigte Härte die Grenze zur Unfairness überschreite. Solange sich das Verhalten des Spielers noch im Grenzbereich zwischen kampfbetonter Härte und unzulässiger Unfairness bewege, sei ein Verschulden trotz objektiven Regelverstoßes nicht gegeben. Eine Haftung komme daher nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Regelwidrigkeit oder beim Überschreiten der Grenze zwischen noch gerechtfertigter Härte und unfairem Regelverstoß in Betracht. In der Beweisaufnahme kam es zwar zu unterschiedlichen Darstellungen des Vorfalls - der erforderliche unfaire Regelverstoß wurde dabei jedoch nicht nachgewiesen.
Hinweis: Dass der Schiedsrichter keine weitere Strafe für das Foul vergeben hatte, war in dem Fall maßgeblich. Denn dies sei ein Anhaltspunkt dafür, dass kein grob von der Norm abweichendes regelwidriges Foul vorgelegen habe. Und nur dann kann ein Schadensersatzanspruch in Betracht kommen.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 07.08.2024 - 15 O 399/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer seine Daten externen Diensten anvertraut, erwartet, dass diese Daten so sicher wie möglich bewahrt werden - dafür sorgt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Das Landgericht Lübeck (LG) hatte sich nun in einem interessanten Fall mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Datenleck auf einer Musikstreamingplattform automatisch Schadensersatzansprüche nach sich zieht und wie hoch diese unter Umständen zu beziffern sind.
Bei einem Musikstreamingdienst war es im Jahr 2019 zu einem erfolgreichen Datenzugriff unbefugter Dritter gekommen. Die Täter machten den Vorfall 2022 öffentlich bekannt und boten die Datensätze im Darknet zum Verkauf an. Der Streamingdienst meldete den Vorfall der französischen Aufsichtsbehörde und informierte die Kunden auf seiner Homepage. Die Daten der Kunden waren mittlerweile auch kostenlos abrufbar. Anfang 2023 informierte der Streamingdienst schließlich die individuell betroffenen Nutzer per E-Mail. Einer dieser Nutzer verlangte daraufhin Schadensersatz in Höhe von 3.000 EUR.
Das LG gab ihm teilweise recht. Der Mann hatte einen Anspruch auf Zahlung von immateriellem Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Datenschutzverstößen. Die Höhe des Schadensersatzes beziffert das Gericht jedoch lediglich auf 350 EUR. Es hielt diesen Betrag für angemessen, aber auch für ausreichend, um den immateriellen Schaden auszugleichen, gleichzeitig der erforderlichen Abschreckungswirkung Rechnung zu tragen sowie dabei die besonderen Umstände des Falls zu würdigen.
Hinweis: Gerichten steht bei der Höhe des Schadensersatzanspruchs ein weiter Ermessensspielraum zu. In diesem Fall war zu berücksichtigen, dass in dem Datenpaket lediglich der Spitzname und nicht der Klarname enthalten war. Außerdem war es - zumindest bislang - nicht zu einer konkreten Vermögensschädigung gekommen.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 04.10.2024 - 15 O 216/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer eine Frist oder einen Termin bei Gericht verpasst, kann unter Umständen einen sogenannten Wiedereinsetzungsantrag stellen. Allerdings müssen dafür gewisse Voraussetzungen vorliegen, wie der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen (AGH) kürzlich festgestellt hat. Klar wird hier, dass auch Menschen, die es erfolgreich durch zwei haarige Juraexamen geschafft haben, manchmal an lebenspraktischen Planungen scheitern können.
Eine Rechtsanwältin musste um 13 Uhr zu einem Termin erscheinen. Warum sie diesen Termin verpasste? Weil sie erst 75 Minuten zuvor mit ihrem Pkw aufgebrochen war, was für ein pünktliches Eintreffen bei der gegebenen Entfernung schon rein rechnerisch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h voraussetzte. Innerstädtisch ist diese Geschwindigkeit nicht gestattet. Verzögerungen müssten also außerorts kompensiert werden, was an einem Freitagmittag quer durch das zusätzlich von Baustellen durchzogene Ruhrgebiet von vornherein ausgeschlossen ist. Eine derartige Planung der Anfahrtszeit ist zudem dann unzureichend, wenn die Rechtsanwältin nicht über ein funktionsfähiges Mobiltelefon verfügt, mit dem sie dem Gericht eine etwaige unvorhersehbare Verzögerung mitteilen könnte. Zu den zumutbaren Maßnahmen zählt dann, eine Tankstelle oder einen Rastplatz anzufahren, um das Gericht telefonisch von dort aus über eine drohende verspätete Ankunft zu unterrichten. Und zu guter Letzt hätten für das Parken des eigenen Pkw und den Fußweg in den Saal bei sorgfältiger Planung weitere Zeiträume berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört im Übrigen auch das Mitführen des Rechtsanwaltsausweises. Denn ohne den Ausweis muss mit längeren Wartezeiten beim Zugang zum Gerichtsgebäude gerechnet werden.
Nach dieser Aneinanderreihung nicht umgesetzter Vorkehrungen ist leicht zu erahnen, was folgte: Hier lehnte der AGH den Wiedereinsetzungsantrag der Rechtsanwältin ab.
Hinweis: Versäumt ein Rechtsanwalt eine Frist oder einen Termin, sollte das offen kommuniziert werden. Natürlich sollten Fehler nicht passieren, und tatsächlich geschieht dies lediglich in sehr seltenen Fällen. Wichtig ist es dann, den Schaden zu begrenzen und über den Fehler miteinander zu sprechen.
Quelle: AGH NRW, Urt. v. 05.09.2024 - 2 AGH 1/24
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)
"Augen auf im Straßenverkehr!" gilt auch für jene, die sich zu Fuß durch die Öffentlichkeit bewegen. Ob eine nicht ordnungsgemäß verlegte Gehwegplatte derart zu beanstanden ist, dass sie zu Schadensersatz führt, musste das Landgericht Lübeck (LG) entscheiden. Doch Vorsicht bleibt auch nach dessen Urteil geboten, denn bei Hindernissen auf öffentlichem Straßenland muss wirklich jeder "Fall" gesondert betrachtet werden.
Ein Mann war zu Fuß in Lübeck eigenen Angaben zufolge aus der Innenstadt kommend in Richtung Holstentor unterwegs. Im Bereich vor einem ehemaligen Sportkaufhaus sei er an einer mittig auf dem Gehweg herausstehenden Kante einer Gehwegplatte mit dem linken Fuß hängengeblieben und gestürzt. Die Gehwegplatte habe einen Niveauunterschied zwischen 1 cm und 2,5 cm zu den umliegenden Gehwegplatten aufgewiesen. Diese Schwelle habe er nicht wahrnehmen oder erwarten können. Deshalb verlangte er nun Schadensersatz von der Stadt - den er nicht erhielt.
Das LG war der Ansicht, Straßen müssen sich grundsätzlich nicht in einem einwandfreien Zustand befinden. Es könne von ihnen mit Blick auf etwaige Unebenheiten stets eine Restgefahr ausgehen. Der Umfang der Sorge für die Verkehrssicherheit werde maßgeblich von Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrswegs und seiner Bedeutung bestimmt. Grundsätzlich muss ein Straßenbenutzer sich aber den vorgefundenen Straßenverhältnissen anpassen. Selbst wenn man zugunsten des Verletzten von einem Höhenunterschied der Gehwegplatten von bis zu 2,5 cm ausginge, wäre mit Blick auf die Gesamtumstände kein pflichtwidriger Zustand des Gehwegs festzustellen. Auf Gehwegen im Allgemeinen werden von der Rechtsprechung Niveauunterschiede von ca. 2 cm bis 3 cm regelmäßig akzeptiert.
Hinweis: In diesem Bereich ist wirklich jeder Fall gesondert zu betrachten. Geschädigte sollten dieses Urteil keineswegs zum Anlass nehmen, nicht gegen Städte und Gemeinden vorzugehen. Es bedarf vorab einer sorgfältigen Prüfung durch einen Rechtsanwalt.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 06.09.2024 - 10 O 240/23
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(aus: Ausgabe 12/2024)